Wie haben die Menschen in diesen verschwundenen Gemeinschaften gelebt? Wie gestalteten sie ihren Alltag? Warum haben sie ihre Siedlungen verlassen? Wo leben sie und ihre Nachkommen heute? Was ist an diesen Orten erhalten geblieben? Wie sieht die Landschaft heute aus? Welche Auswirkungen hat die Verwundbarkeit der Siedlungen auf die Region? Welche Art von Erinnerungskultur ist entstanden? Welche sozialen Netze sind erhalten geblieben? Welche Versuche wurden unternommen, die Siedlungen wiederzubeleben? Ist es möglich, aus diesen kleinen Geschichten Rückschlüsse auf die große Geschichte zu ziehen?
Atlantis ist die Metapher für ein Forschungs- und Ausstellungsprojekt über Siedlungen, die verschwunden sind oder zu verschwinden drohen. Es erforscht kleine Welten, die aus verschiedenen Gründen nicht mehr existieren.
Wir stellen Fragen und suchen nach Antworten.
Die Ergebnisse der Forschung werden in Ausstellungen einem breiten Publikum präsentiert. Objekte, Bilder, Texte und Töne erzählen den Ausstellungsbesuchern von den kleinen Welten in Kroatien, Ungarn, Rumänien, Serbien, Slowenien und Deutschland.
Im Frühjahr 2024 bereiste der Fotograf Frank Gaudlitz alle Siedlungen, die im Projekt präsentiert werden, um künstlerisch hochwertige Bilder anzufertigen. Gleichzeitig wurden an den Orten der einstigen Ortschaften Tonaufnahmen gemacht. Aus diesen 'Klängen der Leere' komponierten Mirko Perencevic und Misha Antonov Musikstücke für die verschiedenen Versionen der Ausstellung, die deren Aussage atmosphärisch unterstreichen.
In der Ausstellung "Atlantisz. Kis világok" sind Geschichten der Dörfer Dolina, Korpád, Gyűrűfű aus Südungarn, Derenk aus Nordungarn und Terján aus der Vojvodina in Serbien zu sehen.
Der Niedergang von Dolina begann 1946 mit der Vertreibung eines Teils der Deutschen. Die vorübergehend wieder besiedelte Dolina verödete aufgrund fehlender Straßenverbindungen, und ihre letzten Bewohner verließen den Ort 1974. Der Platz des Dorfes wurde umgepflügt. Das nicht mehr existierende Dolina kam 2022 wieder in das öffentliche Bewusstsein, als die Glocke der Kapelle gefunden wurde.
Gyűrűfű wurde ebenfalls durch die Siedlungspolitik der siebziger Jahre aufgegeben. Die Geschichte des „verschollenen Dorfes“ ist gut bekannt und wurde in der zeitgenössischen Presse verbreitet. Gyűrűfű wurde als Ökodorf wiederbesiedelt. Die Ausstellung erzählt die Geschichte des Fortbestehens des Dorfes in neuer Form.
Das Dorf Terján in der Vojvodina wurde in den 1950er Jahren aufgelöst. Die ungarische Bevölkerung, die sich mit Tabak- und Blumensamenanbau beschäftigte, zog als zusammenhängende Gruppe in das benachbarte Csóka um, wobei sie ihre „terjányi“ Identität bewahrte.
Korpád wurde in den siebziger Jahren als „nicht entwickelbare Siedlung“ zum Verlassen verurteilt. Heute wird der Ort von einem waldreichen Gebiet mit vielen Wildtieren bedeckt, die Häuser sind verschwunden, und die letzten Zeugen menschlicher Besiedlung sind verwilderte Obstbäume. Ein ehemaliger Bewohner erzählt die Geschichte des Dorfes.
Derenk, das von der polnischen (goralischen) Minderheit bewohnt wurde, wurde nach dem Ersten Weltkrieg zu einem Grenzdorf und verlor seine traditionellen kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen. Während des Zweiten Weltkriegs wurde das Gebiet zu einem Wildreservat erklärt, und die Bewohner wurden aus dem Dorf vertrieben. Heute ist das Dorf ein wichtiger Erinnerungsort der polnischen Minderheit in Ungarn.
Die Ausstellung "Atlantida. Lumi pierdute" erzählt die Geschichten von Lindenfeld, Herepea, Geamăna und der Donauinsel Ada Kaleh.
Die Insel Ada Kaleh war überwiegend von Muslimen bewohnt. Die kleine Insel mit ihrem orientalischen Flair, mildem Klima und schöner Vegetation wird noch heute mit Emotionen erinnert. Die Insel wurde während des Baus des „Eisen-Tor“-Kraftwerks überflutet
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts zogen deutschsprachige Familien aus Böhmen in den Urwald der Semenic-Berge, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Trotz der schwierigen Bedingungen entwickelte sich Lindenfeld zu einer florierenden Gemeinschaft. Im 20. Jahrhundert wurde Lindenfeld zunehmend isoliert, die jüngere Generation zog in größere umliegende Siedlungen und später nach Deutschland. Bis in die 1990er Jahre war Lindenfeld praktisch verlassen.
Herepea ist ein Beispiel für viele Dörfer, die aufgrund der früheren Zwangsindustrialiserung, der abgelegenen Lage und der schwachen Wirtschaft langsam aussterben. Aber seine Geschichten sind einzigartig.
1976 begannen Planungen für ein Bergbauprojekt zur Ausbeutung der Kupfervorkommen nahe des Dorfes Geamăna. Aufgrund der eingesetzten Technologie erzeugte der Bergbau eine große Menge Abfall in Form von verschmutztem Schlamm. Auf dem Gelände des ehemaligen Dorfes entstand ein Absetzbecken. Die Bevölkerung wurde umgesiedelt, als der Schlamm immer mehr von der Dorflandschaft bedeckte.
In Serbien sind Bilder, Objekte und Erinnerungen über Gakovo und Kruševlje ausgestellt.
Beide Dörfer liegen in Serbien, in der autonomen Provinz Vojvodina. Im 18. Jahrhundert wurden die Dörfer mit Deutschen besiedelt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in beiden Dörfern Internierungslager für die ‚schwäbische‘ Bevölkerung eingerichtet. Mehrere Tausend Menschen kamen hier ums Leben. Aus Gakovo zogen die ehemaligen Bewohner weg, doch heute ist das Dorf wieder bewohnt und lebendig. Auch Kruševlje wurde neu angesiedelt, doch auch seine neuen Bewohner verließen das Dorf. Die meisten Häuser wurden abgerissen.
© Alle Rechte vorbehalten